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Brief von Alfred von Meißner an Alexander Jung, [24.06.[1858]]Franz-Michael-Felder-Archiv (Bregenz)Sammlung AutographenSignatur: AU : 16 : 30

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Brief von Alfred von Meißner an Alexander Jung, [24.06.[1858]]Franz-Michael-Felder-Archiv (Bregenz) ; Sammlung Autographen

Signatur: AU : 16 : 30


Karlsbad. - 2 Bl., 4 S. beschr., Tinte, m.e.U.. - Brief

Inhaltsangabe: Höchst aufschlußreicher Brief an den Schriftsteller-Kollegen Alexander Jung in Königsberg: ein in tiefer Depression geschriebenes großes Bekenntnis Meissners über seine gesamte Situation als Schriftsteller, den Mangel an Erfolgen, das ihm überall begegnende Unverständnis, sein unbeirrbares Streben nach Anerkennung. Zunächst bedankt er sich überschwenglich für Jungs Besprechung seines vierbändigen Romans "Die Sansara": "... Ich bin so gerührt & so glücklich! Endlich - endlich einmal ein Zeichen des Anklangs in einer anderen Seele. Also: Es ist doch etwas in meinem Buche? Ich bin kein Verrückter, der seine Strohhütte für einen Pallast hält? Ich muß es Ihnen nur gestehen, Sie persönlich mir unbekannter Freund ... was ich niemandem sage - es sieht seit Jahren schrecklich in mir aus & wie Hostivin [die Hauptfigur seines Romans] damals auf dem St. Bernhard im Eis herumging, so gehe ich seit Jahren herum, ohne Hoffnung, daß es anders werde. Ich war mit einem titanischen Stolz geboren, aber der ist von der Welt furchtbar gezüchtigt worden. Seit Jahren schon schreibe ich ohne jede Anerkennung & sehe das gefeiert, was ich für erbärmlich halten muss. Da kommt man allmählich dahin zu fragen: ob man verrückt sei oder ob die Welt von Sinnen ist. So, in völliger Vereinsamung lebe ich schon seit Jahren bald mit einem Freund, der noch unglücklicher ist, als ich (dem Urbild des Petrowsky) - & das sind die Lichtpunkte meines Lebens wenn ich mit ihm zusammen irgendwo dieses Gebirgland durchstreife -, oder daheim. Aber welches Daheim! Mein Vater affektirt die größte Verachtung vor meinen Büchern & so - ökonomisch unfrei mit 35 Jahren - unfähig trotz allen Fleisses durch die Literatur zu leben - schleppe ich mich Jahr um Jahr, weiß wohl, wie man schreiben muß, um der Welt zu gefallen, & kann mich doch - um keinen Preis - dazu entschliessen. Dabei ist dies dämonische Herz nicht zu bändigen. Aus dem Fenster der Dachstube, die Sie so schön zu schildern wissen, würde ich mich auf das Pflaster stürzen, weil ich nicht von ihr aus die Welt zusammenschiessen kann, die mich in sie getrieben. Nun begreifen Sie, was in mir, dem chronisch unzufriedenen vorging, als ich Ihre Lebenskunst las. Ach, dachte ich fortwährend, dieser Mensch zwingt sich glücklich zu scheinen oder ist er's wirklich, dann - wie unendlich tief stehe ich unter ihm! ... Noch einmal zur Besprechung! Welche Sprache, welcher Styl, welcher Sinn, welches Verständniss! Wie richtig ist alles, was Sie zart verhüllt tadelnd, fast nur mir andeuten! Also die Gartenscene hat Ihnen gefallen? Gestern noch sagte mir jemand: 'den 2ten Band hab' ich schrecklich fad gefunden. Den konnt ich nicht auslesen'. Ich muß dem Menschen noch dankbar sein, daß er das Buch überhaupt zu lesen versuchen wollte. Abgesetzt sind erst 250 Ex. ... dagegen erlebt Frau Mühlbach [d. i. die Trivialroman-Autorin Clara Mundt] 4, 5 Auflagen ...". - Mit der erwähnten "Lebenskunst" ist Alexander Jungs in demselben Jahr erschienenes zweibändiges Werk "Das Geheimnis der Lebenskunst" gemeint. - Von Meissner ist hier, 1858, bereits ein seelischer Zustand der Verzweiflung dokumentiert, der den Dichter 1885, als sein Partner Meissners schriftstellerisches Werk für sich beanspruchte, in den Freitod treiben sollte.

Pfad: Sammlung Autographen

DE-611-HS-3834327, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-3834327

Erfassung: 1. Juli 2014 ; Modifikation: 12. Dezember 2014 ; Synchronisierungsdatum: 2024-03-29T15:09:51+01:00