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S.S. 1932 Social-Philosophie VUniversitätsbibliothek HeidelbergNachlass Heinrich RickertSignatur: Heid. Hs. 2740 II C - 105

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S.S. 1932 Social-Philosophie VUniversitätsbibliothek Heidelberg ; Nachlass Heinrich Rickert

Signatur: Heid. Hs. 2740 II C - 105; Blatt 524-692


Heidelberg [ermittelt], 1932. - Umschl. mit 168 Bl., überw. masch., mit hs. Korrekturen und Ergänzungen, Deutsch. - Vorlesung, Vorlesungsmanuskript

Benutzbar - Verfügbar, am Standort.

Inhaltsangabe: Abschluss des ersten Teils der Sexualethik, der das Verhältnis biologischer Begriffe und ethischer Normen untersucht. Sexualethik ist auf verbindliche Normen angewiesen, die sich jedem Relativismus entziehen. Hier ist historische Fragestellung von Bedeutung. Um den Bereich der Ethik zu bestimmen, müssen die Wertgebiete in ihrem systematischen Zusammenhang betrachtet werden: Werte sind entweder "kontemplativ" und "asozial" (Kunst und Wissenschaft) oder "aktiv" und "sozial". In der Wertverwirklichung strebt das Subjekt "Vollendung" an; es können dabei drei Stufen dieser Vollendungstendenz unterschieden werden: 1. "Un-Endliche Totalität" (das Streben des endlichen Subjekts nach dem unerschöpflichen Ganzen), 2. "Voll-Endliche Partikularität" (das Streben richtet sich nur auf Teile des Ganzen und kann daher vollendet werden), 3. "Voll-Endliche Totalität" (Synthese der ersten beiden Tendenzen). Zentraler Wert der Sozialethik ist Autonomie (Selbstgesetzlichkeit). R. zufolge kann jedes Subjekt autonom sein, wenn es stets nach seinem Gewissen und dem, was es für Pflicht hält, handelt. Vollendete Autonomie ist gleichzusetzen mit vollendeter Sittlichkeit, die jedoch nur als Ideal besteht. Über das Individuum hinaus spielt nämlich für die Ethik der Bereich des Sozialen, der Institutionen wie die Familie umfasst, eine zentrale Rolle. Da die Gesellschaft jedoch weder absolut sittlich noch absolut frei gestaltet ist, muss das ethische Streben stets unvollendet bleiben. Die Spannung zwischen idealem Wert und realem Zustand ist Ausgangspunkt der Sozialethik.Das Streben nach Freiheit und Sittlichkeit muss unvollendet bleiben, da mit Erfüllung des idealen gesellschaftlichen Zustandes das autonome Subjekt selbst aufgehoben würde. Autonomie besitzt nur das aktive, sich um Sittlichkeit bemühende Subjekt. Die antagonistische Spannung zwischen Individuum und Freiheit darf nicht überwunden werden, denn Sittlichkeit besteht nur, wenn die Freiheit begrenzt ist. Ein aktives soziales Leben in Familie, Recht, Staat, Kirche usw. ist die Bedingung für Kulturentwicklung. Soll es kulturellen Fortschritt geben, muss "Kultur-Arbeit" geleistet werden. Dazu ordnet sich das (autonome) Subjekt als "Organ" dem überpersönlichen "Organismus" des geschichtlichen Prozesses unter. Ein solches Streben kann jedoch nur zukunftsgerichtet sein und lässt das Subjekt den Verlust einer "lebendigen Gegenwart" erfahren. Die erste Möglichkeit, auch gegenwärtigen Lebenssinn zu stiften, ist für R. die Kunstbetrachtung: Denn Kunstwerke haben einen "Eigenwert in der Gegenwart", der sie aus dem historischen Prozess der Kulturentwicklung herauslöst. Dennoch ist ein solcher "ästhetischer Idealismus" kein Ersatz für eine "Philosophie des Lebens". Leben erfordert aktives Handeln und lässt sich nicht auf ästhetische Kontemplation reduzieren. Eine weitere Möglichkeit, Vollendung in der Gegenwart zu erfahren, stellt die Mystik dar, die das Einswerden mit Gott anstrebt. Auch hier richtet R. seine Kritik auf die rein kontemplative Tätigkeit des "mystischen Schauens", das keinen "Lebenssinn" mehr hat, sondern die reine Transzendenz sucht. Sowohl Ästhetentum als auch Mystik schließt R. also als Quellen von Lebenssinn aus.Das Ideal des vollendeten aktiven Lebens in der Gegenwart stellt Aufgabe an die Ethik. Es ist ein Wert, der zur Pflicht wird und daher vom autonomen Subjekt "anerkannt" werden soll. Kunst kann nur insofern Bezug zum vollendeten Leben haben, als sie ineinander verschränkt sind: Der Inhalt des Kunstwerkes muss aus dem Leben hervorgehen. Ein sozialethisch "vollendetes Gut" ist die Familie. Sie erfüllt so vollständig den "Augenblick", dass sie, ohne transzendent zu sein, aus dem Prozess der Kulturentwicklung heraustritt. Zugleich bestehen innerhalb der Familie Beziehungen, die nicht über ihren ethischen Wert bestimmt werden können: So ist das Verhältnis der Mutter zum Kind durch "Liebe" bestimmt, nicht aber durch ethische Pflicht. Daher hat Mutterschaft keinen ethischen, sondern einen "erotischen" Wert. Die "Gegenwartsvollendung" der Erotik gipfelt in der Liebe zwischen Mann und Frau. Weitere erotische Werte: Häuslichkeit, Jugend, Verwandtschaft, Freundschaft, Intimität. Ebenso wie die individuelle Persönlichkeit strebt außerdem die "Nation" als Wert ihre Vollendung an. Anschließend setzt sich R. mit der Frauenbewegung auseinander: Eine vollständige Gleichstellung von Mann und Frau sei nicht wünschenswert, dennoch müsse aus einer sozialethischen Perspektive heraus die "Not der Frau" überwunden werden. R. hält die geringere Freiheit der Frau aufgrund ihrer "sexuellen Funktionen" für notwendig. Dies sei ein beklagenswertes Schicksal: Zum einen habe die Frau als Mensch übergeschlechtliche Rechte und Pflichten, zum anderen könne sie aufgrund ihrer Weiblichkeit nicht alle erfüllen. R. kritisiert an der Frauenbewegung, dass sie den Mann als idealen Maßstab setzt, statt die "Eigenwerte" der Frau zu bestimmen. Die Frau habe beispielsweise eine besondere Fähigkeit zur "kontemplativen Betrachtung" von Kunstwerken. Sie ist dem Mann nicht gleichgestellt, sondern ihm in der "sozial-ethischen Sphäre" unterlegen, in der "erotischen" hingegen überlegen (Bsp.: Mütterlichkeit). Das "Prinzip der Weiblichkeit" ist mit dem "erotisch vollendeten persönlichen Gegenwarts-Leben" verknüpft, das der Männlichkeit mit der Vollendung der ethischen Werte in der "geschichtlichen Kultur". R. strebt eine Philosophie an, die für Mann und Frau ein jeweils eigenes "Wertprinzip" findet. Anschließend Vergleich verschiedener Liebesbegriffe: 1. biologischer, 2. vitalistischer (Nietzsche), 3. geistiger, 4. individueller Liebesbegriff. In der geschlechtlichen Liebe wird eine geistige Synthese aus männlichem und weiblichem Prinzip, aus "Vollendlichkeit" und "Unendlichkeit" vollzogen.

In: Sozialphilosophie (Grundzüge der Ethik und Erotik) [Titel wie Vorlesungsverzeichnis Univ. Heidelberg SS 1932] [Vorlesung]

Bemerkung: Inhaltlich geschlossenes Konvolut mit unklarem System der Paginierung (Überschneidungen trotz fortlaufenden Textes, Mehrfachpaginierung).Zu dem vorlieg. Ms. gibt es den Durchschlag einer Abschr. unter Heid. Hs. 2740 II C - 143.

Objekteigenschaften: Handschrift

Pfad: Nachlass Heinrich Rickert / Nachlass Heinrich Rickert II. Werk / Nachlass Heinrich Rickert II. Werk C / Sozialphilosophie (Grundzüge der Ethik und Erotik) [Titel wie Vorlesungsverzeichnis Univ. Heidelberg SS 1932]

[Standort: Handschriftenabteilung ; Heid. Hs. 2740/100 (Frühere Signatur)]

DE-611-HS-2957833, http://kalliope-verbund.info/DE-611-HS-2957833

Erfassung: 18. Januar 2016 ; Modifikation: 2. März 2017 ; Synchronisierungsdatum: 2024-04-26T02:32:36+01:00